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In den letzten zehn Jahren wurden aktuelle Prozesse der Stadtentwicklung innerhalb der kritischen Stadtforschung zunehmend als neoliberale Stadtentwicklung begriffen. Dabei wird Neoliberalismus nicht in einem engen ökonomischen Sinne verstanden, sondern um ein Verständnis ergänzt, das an Arbeiten der Gouvernementalitätsstudien anschließt. So wurden in einem theoretisch breiteren Feld zwischen marxistischen und poststrukturalistischen Ansätzen u. a. Fragen der Vermarktlichung von Lebensbereichen und die mit ihnen einhergehenden neuen Formen der (Selbst)Steuerung neoliberalisierter Subjekte diskutiert und damit Zusammenhänge zwischen auf den ersten Blick sehr divergent erscheinenden Prozessen hergestellt.

Die Debatte über die Neoliberalisierung des Städtischen hat sich seit Beginn der 2000er Jahre verstärkt mit der Neoliberalisierung von (lokal-)staatlichem Regierungshandeln auseinandergesetzt. Sie konzentrierte sich vor allem auf den Rückzug (lokal-)staatlichen Handelns zugunsten eines Handelns nach marktwirtschaftlichen Logiken in der Phase des sog. „roll-back neoliberalism“ (Peck and Tickell 2002) und eines Ausbaus von politischer Steuerung zur Regierung im Zuge einer zweiten Phase eines neoliberalen „roll-outs“ (ebd.). Diese Arbeiten attestieren der Neoliberalisierung trotz aller Kritik nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in weiten anderen Teilen der Gesellschaft, ein ‚befremdliches Überleben‘ (Crouch 2010).

So richtig die Analyse des Überlebens neoliberaler Maxime und Logiken in gegenwärtigen Formen der Stadtentwicklung ist, so problematisch scheint uns der Umgang mit ihr. Die Beschreibung des Neoliberalismus als „untotem Zombie“ (Peck 2010), der trotz seines Scheiterns auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen seine Kritik soweit einverleibt, dass er weiterhin und noch effektiver die Rationalitäten des Regierens und Handelns von Politik und Gesellschaft strukturiert, gibt wenig Raum, um Verschiebungen und Widerständigkeiten denken und begreifen zu können.

Dies ist Anlass für uns zu fragen, welche Form das Politische in diesen Prozessen hat. Inwiefern wird die gegebene Diagnose der neoliberalen Stadt und Gesellschaft problematisch, wenn das Politische nur noch als immer bereits neoliberal kooptiert oder als in die verlängerten Arme des neoliberalen Lokalstaates einverleibt gedacht werden kann? Die Begriffe des neoliberalen Regierens von Stadt und der neoliberalen Ordnung des Städtischen werden problematisch, wenn sie fatalistisch gedacht werden. Im Rahmen des neoliberalen Regierens verschwände somit die Ebene des Politischen bzw. die spezifische Form des Poltischen aus dem Blick.

Demgegenüber wird hier die These vertreten, dass dieser Postpolitisierung von Stadt nur mit einer Repolitisierung begegnet werden kann. Repolitisierung meint dabei eine theoretische und eine empirische Suchbewegung: Uns interessieren theoretisch angelegte Ansätze, mit denen das Politische adressierbar und wieder gesellschaftlich und räumlich verhandelbar gemacht werden kann, wie es beispielsweise Theorien der Postdemokratisierung (Balibar), die Neuen Theorien des Politischen und der Postpolitik (Rancière, Mouffe, Marchart) oder Theorien politischer Subjektivität (Butler, Laclau) vorschlagen. Das Politische in den Aushandlungsprozessen der neoliberalen Stadt stärker in den Blick zu nehmen, bedeutet auch, die Kategorie des widerständigen Subjekts wieder

stärker ins Spiel zu bringen. Hierbei spielen gegenhegemoniale Strategien der Selbst- und Raumproduktion eine zentrale Rolle.
Uns interessieren empirisch angelegte Beiträge, die sich mit der These einer zunehmend postpolitischen Regierung von Städten – oder auch dem postpolitischen Reden über Städte in Praxis und Wissenschaft – in einer Vielzahl gesellschaftlicher Kontexte auseinandersetzen. Inwiefern lassen sich aktuelle Entwicklungen in Planung und Verwaltung mit diesen Begriffen fassen?

Andererseits wünschen wir uns Beiträge zu Ereignissen und Fallstudien, in denen Formen der neoliberalen Stadtentwicklung herausgefordert oder unterlaufen werden und Stimmen jenseits der Repräsentationslogik neoliberalisierter Politik- und Subjektivierungsformen laut werden. Welche neuen Formen des Politischen zeigten sich in den vergangenen Jahren in der Verweigerung bekannter politischer Repräsentationsformen bei den Protesten auf städtischen Plätzen und innerstädtischen Camps? Welche neuen Formen des „Unvernehmens“ (Rancière 2002) gegen neoliberale Regierung und die von ihr kooptierten Widerstandsformen gibt es in der Stadt?

In diesem Themenheft soll der Ertrag ausgelotet werden, den eine dezidiert politische Perspektive auf aktuelle Entwicklungen in der Stadt bietet. Damit, so die Hoffnung, kann es gelingen, die politische Seite und die Logiken der Politik neoliberaler Gouvernementalität genauer zu begreifen, und so in den Mittelpunkt zu rücken, dass weite Teile dieser Politiken sich gerade dadurch ausdrücken, dass sie als nicht-politisch verhandelt werden.

Wir wünschen uns Beiträge, die sich beispielsweise mit einem der folgenden Themen beschäftigen:

  • Worin liegt der Ertrag einer neuen Beschäftigung mit Postpolitik bzw. mit dem Politischen für die kritische Stadtforschung?

  • Inwiefern tragen auch Theorien und Konzepte der Stadtforschung zu einer Postpolitisierung bei?

  • Wie lässt sich das Politische reaktivieren?

  • Lassen sich aktuelle städtische Kämpfe (z. B. in Griechenland, Occupy oder der Arabische Frühling) gewinnbringend in den Begriffen von Post-Politik und des Politischen verstehen? Abstracts von etwa einer Seite werden bis zum 31. Januar 2013 erbeten.

Fertige Beiträge (40.000 - 60.000 Zeichen) wünschen wir uns bis zum 31. April 2013. Autor_innenhinweise finden sich auf www.zeitschrift-suburban.de

Boris Michel und Nikolai Roskamm
Fragen und Beiträge bitte an bmichel@geographie.uni-erlangen.de und n.roskamm@isr.tu-berlin.de

Literatur

Crouch, Colin (2011): Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II. Berlin: Suhrkamp.

Marchart, Oliver (2010): Die politische Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben. Frankfurt am Main, Leipzig: Suhrkamp.

Mouffe, Chantal (2007): Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Frankfurt: Suhrkamp.

Peck, J. u. Tickell, A. (2002): Neoliberalizing Space. In: Antipode, Jg. 34, Nr. 3, S. 380–404.

Peck, J. (2010): Zombie neoliberalism and the ambidextrous state. In: Theoretical Criminology, Jg. 14, Nr. 1, S. 104–110.

Rancière, Jacques (2002): Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. Frankfurt: Suhrkamp.